Klima-Wandel im Umgang
mit „Naturgefahren“

13. März 2014, Messe Salzburg (A)

Die paradigmatische Ausgrenzung des Gegenstands „Natur“ beeinflusst noch heute die Forschung zur menschlichen Umwelt in den Sozialwissenschaften. Nach einer langen Phase der Randexistenz erwachte das Interesse an einer adäquaten theoretischen Rahmung des Themas erst angesichts sich zuspitzender ökologischer Probleme und der zunehmenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung wieder. Bis heute tut sich die Forschung jedoch schwer, für zentrale soziale Fragestellungen mit Bezug zur Umwelt adäquate wissenschaftliche und für die Praxis nicht nur relevante, sondern auch konkret anwendbare Konzepte und Lösungen zu entwickeln und/oder deren Relevanz in die Praxis hinein zu kommunizieren.

Die gesellschaftliche Debatte scheint unterdessen die sozialwissenschaftliche Realität zu überholen: Die Diskussion um den Klimawandel oder gar die Figur des „Anthropozäns“ lassen eine neue Ära des gesellschaftlichen Verhältnisses zur Natur erahnen – in den Naturwissenschaften, in der Politik, in den Massenmedien. Nach einer langen Phase der Zentrierung auf eine technokratische Unterwerfung „der Natur“ erscheint vor diesem Hintergrund auch die Frage nach einer Neuausrichtung des Verhältnisses zur eben keineswegs von allen Akteuren einheitlich verstandenen Natur wieder als bedeutsam.

Zwei Themenfelder prägen diese Debatte im Besonderen. Während die insgesamt unkontrollierbare menschliche Umwelt den Menschen schon immer herausforderte, rahmt nun der Klimawandel zumindest diskursiv diese Herausforderungen als „Naturgefahren“ neu. Es stellt sich die Frage, ob sich damit auch die gesellschaftlichen Vorstellungen von Natur weiter ausdifferenzieren und somit das dominante reduktionistische Verständnis aufbrechen. Der Fokus dieser Tagung liegt auf gesellschaftlich geforderten, auf anstehenden und bereits stattfindenden Transformationen von Diskursen als auch auf dem praktischen Umgang mit Natur in Bezug auf Naturgefahren.

Während beide Themen, Naturgefahren und der Klimawandel, für sich genommen bereits komplex sind, gründet besonders in ihrer spezifischen Verbindung eine Herausforderung für die Gesellschaft in all ihren Facetten. Diese Aufgabe betrifft lokale Akteure wie Einzelpersonen, zivilgesellschaftliche Akteure, Institutionen, Kommunen und Städte ebenso wie Nationalstaaten und überstaatliche Organisationen.

Es handelt sich auch deshalb um einen komplexen Gegenstand, da der Klimawandel nicht nur naturwissenschaftlich umkämpft ist, sondern insbesondere seine sozialen und kulturellen Interpretationen sowie die daraus folgenden Implikationen gesamtgesellschaftliche Konsequenzen zeitigen. Demgemäß haben wir es nicht nur mit einem politischen Governance- und Gerechtigkeitsproblem zu tun, sondern es stellt sich ebenso die Frage nach der kulturellen Produktion und Verhandlung von Deutungen und der Veränderung von Handlungspraktiken im Umgang mit – im Klimawandel neu figurierten – „Naturgefahren“ und den dabei entstehenden Chancen, Risiken und Lasten.

Die Tagung verortet sich innerhalb dieses bewusst weit gefassten Rahmens. Sie will diesen, ausgehend von der Annahme, dass der Kontrast neue Impulse generieren kann, aus verschiedenen Perspektiven beleuchten und füllen. So sollen

  • verbreitete und alternative Deutungsmuster kritisch hinterfragt werden, die eine Veränderung gesellschaftlicher Naturverständnisse beschreiben und auf ihren ideologischen Gehalt sowie ihre realen Konsequenzen hin hinterfragt werden;
  • naturwissenschaftliches Wissen und lokales, lebensweltlich verankertes Wissen in Bezug auf die Konstruktion, die Wahrnehmung von und den Umgang mit Natur kontrastiert und reflektiert werden;
  • lokale Auseinandersetzungen um den deutenden und handelnden Umgang mit Natur nicht als Ausnahme eines globalen Diskurses begriffen werden, sondern als legitime widerstreitende Interpretationen. Damit erscheinen Machtverhältnisse in den Verhandlung sowohl auf einer handlungspraktischen Ebene, wie auch auf der Ebene der Durchsetzung von Deutungen als relevant.
  • Weiterhin soll ergründet werden, inwieweit ein diesbezügliches Lernen aus der Vergangenheit möglich ist und inwiefern es sich als sinnvoll angesichts der neuen Herausforderungen erweisen kann.

Von Interesse sind Beiträge, die theoretisch, empirisch oder aus Sicht der PraktikerInnen die Themen Natur, Naturgefahren und Klimawandel behandeln. Besonders erwünscht sind Beiträge, die Zusammenhänge und Wandelprozesse reflektieren und/oder theoretische Ansätze erarbeiten oder kritisch reflektieren, um die Transformationsprozesse in der Deutung und handelnden Bewältigung von Natur und Naturgefahren zu verstehen. Sie können Einblicke in Theorien der Naturgefahren und des Klimawandels bieten, kulturhistorische Analysen präsentieren oder räumliche Vergleiche von Verhandlungen vornehmen. Dabei sind Fallbeispiele aus dem europäischen ebenso willkommen wie aus dem außereuropäischen Raum,  insbesondere aus den Ländern des so genannten globalen Südens. Explizit möchten wir auch Nachwuchswissenschaftler/innen einladen, Beiträge einzureichen.

Die Konferenz wird parallel zur Messe Acqua Alta Alpina vor Ort stattfinden, ist jedoch nicht Teil des offiziellen Programms der Messe. Die Tagung wird weiterhin in Assoziation mit der Abschlussveranstaltung des Forschungsprojektes „Alpine Naturgefahren im Klimawandel“ stattfinden und am Tag zuvor explizit praxisrelevante sozialwissenschaftliche Perspektiven beleuchten. Sie wird durch ProjektmitarbeiterInnen des von KatNet-Mitgliedern initiierten Projekts „Alpine Naturgefahren im Klimawandel“ vorbereitet.

Zudem wird ein Sammelband unter dem Titel „Klima-Wandel im Umgang mit ‚Naturgefahren'“ angestrebt, der auf Basis der Vorträge und der Tagungsergebnisse Transformationsprozesse in der Deutung und der Handlungspraxis im Umgang mit „Naturgefahren“ vor dem Hintergrund des Klimawandels beleuchtet. Zu diesem Zweck bitten wir die an einer Veröffentlichung Interessierten darum, bereits im Vorfeld der Tagung (bis zum 14.02.2014, per Email an Karsten.Balgar[at]FU-Berlin.de)  ausführlichere Thesenpapiere von etwa 2000 Wörtern einzureichen, die dann zu den Sammelbandbeiträgen weiterentwickelt werden.


Programm und Vorträge der Tagung

Programm 

 

Tag 1 Mittwoch, 12. März 2014
Vorstellung des Forschungsprojektes „Alpine Naturgefahren im Klimawandel – Deutungsmuster und Handlungspraktiken vom 18.‐21. Jahrhundert (ANiK)“

Begrüßung (Martin Voss, Freie Universität Berlin)

Das Forschungsprojekt „Alpine Naturgefahren im Klimawandel – Deutungsmuster und Handlungspraktiken vom 18.‐21. Jh. (ANiK)“ (Martin Voss, Freie Universität Berlin)

Von der Theodizee über die Technodizee zur Anthropodizee (Josef Bordat, Freie Universität Berlin)

Die Geschichte des Umgangs mit Naturgefahren (Peter Reinkemeier, Georg‐August‐Universität Göttingen)

Klimaanpassung im professionellen Naturgefahrenmanagement: Trends und blinde Flecken (Klaus Pukall, Technische Universität München; Sylvia Kruse, Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL))

Klimawandel und lokale Bevölkerung (Christian Reichel, Freie Universität Berlin)

Zivilgesellschaft und die lokalen Logiken des Klimawandels (Karsten Balgar, Freie Universität Berlin)

Schlussfolgerungen für die Praxis (Martin Voss, Freie Universität Berlin)

Worldcafé zur Zukunft des Naturgefahrenmanagements: Das Naturgefahrenmanagement 2050 / Partizipation / Grenzen der Vorbereitung

Vorstellung der Ergebnisse des Worldcafés

 

Tag 2 Donnerstag, 13. März 2014

Impulsvortrag zu den Ergebnissen des Vortags (Karsten Balgar, Freie Universität Berlin)

I. Gesellschaftliche Naturverhältnisse im Wandel

Zwischen Nähe und Distanz. Überlegungen zum Naturverständnis seit dem Mittelalter (Bernd Rieken, Sigmund Freud Universität Wien)

Blickwechsel ‐ Kulturelle Aspekte des Mensch‐Natur‐Verhältnisses (Manfred Jakubowski‐Tiessen, Georg‐August‐Universität Göttingen)

Zeithorizonte der Wahrnehmung von Wandel. Das soziale Erinnern und Vergessen vergangener
und zukünftiger Naturgefahren (Dietmar Rost, Kulturwissenschaftliches Institut Essen)

Von schiffbrüchigen Inseln und Zuschauern: Zur Metaphorik des „Klimawandels“ (Arne Harms, Freie Universität Berlin)

Wenn Hochwasser im Alpenraum wieder Schlagzeilen machen – was wir aus dem Mediendiskurs für die Risikoprävention lernen können (Helena Zemp, Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL))

II. Individuum, Gemeinschaft und Institutionen im Kontext von Klimawandel und Katastrophen

Der Umgang mit Naturgefahren in zwei Küstengemeinden: Zum sozioökonomischen und
kulturellen Hintergrund bei der Auseinandersetzung mit Sturmfluten (Grit Martinez, Ecologic Institute / Radost)

Die Stunde der Zeitzeugen? Zur Vermittlung von Anpassungs‐ und Bewältigungsstrategien am
Beispiel von Erinnerungserzählungen an die Hamburger Sturmflut von 1962 (Frauke Paech)

Katastrophenresilienz ‐ eine Fallstudie in Uruguay (Sarah Zeller)

Institutioneller Klima‐Wandel in der Stadtplanung (Elisabeth Süßbauer, Helmholtz‐Zentrum für Umweltforschung)

III. Abschlussdiskussion

Abschlussdiskussion